Zu dem Thema „Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in 10 Jahren zurücksehnen“, mal etwas was ich vor 10 Jahren geschrieben habe und das heute noch gilt, aber eben schon wieder 10 Jahre vergangen sind. Wenn auch das eigentliche Jubiläum erst im Oktober ist:
Freitag Abend und ich sitze mit 42 an der Bar in meiner Stammkneipe. Über die Anlage läuft Musik mit den Sounds der 80ziger. Wie immer wenn ich hier bin. Es verirrt sich dann und wann auch mal ein Song aus den frühen 90zigern in die Playlist. Etwas von RIDE zum Beispiel. Aber heute Abend nicht. Heute sind es die SMITHs. Es säuselt „Please, please, please…“ aus den Lautsprechern.
Das Bier schmeckt schal und lullt einen das Gehirn ein. Die Luft in den Laden ist ein wenig muffig, aber seit 10 Jahren Rauchfrei.
Ich schaue 42 an und sage: „Alter!“
42 nickt und nimmt ein Schluck aus seinem Bierglas. Trinkt, verzieht den Mund als hätte er in eine Zitrone gebissen und stellt das Glas wieder auf den vom Tropfwasser feuchten Bierdeckel.
„Wem sagst du das?“
Da hat 42 natürlich recht. Wem sag ich das!
„Wie ist es so?“ Frage ich 42 nachdem ich auch noch einen weiteren Schluck aus meinem Bierglas genommen habe. „Irgendwie doch deprimierend, oder?“
42 zuckt mit dem Schultern und grinst. „Wie soll ich das wissen? Mich gibt es doch erst seit 2 Monaten.“
Da hat er recht. Und wer recht hat gibt einen aus.
Ich sehe mich im Laden um. In der einen Ecke sitzt 27 mit 25 und 19. Alle drei diskutieren. Alle drei sind sehr nervös. Unruhige Hände zupfen an Kleidungsstücken, spielen mit Bierdeckeln und friehmeln an Biergläsern rum. Immer wieder der Blick zum Ausgang und dabei ein Griff an die Brusttasche oder in eine Innentasche einer Jacke. Dann springen alle drei wie auf ein stummes Kommando auf. „Erstmal frische Luft schnappen!“
Alle drei gehen zum Ausgang und zücken schon bei der Tür die Zigaretten und Feuerzeuge.
Am Tisch neben der Tür sitzt 33 allein an einem Tisch und grinst in sich rein. 42 und ich stehen auf und gehen zu 33 hinüber.
„War früher alles besser?“ Frage ich 33 und stelle mein Bierglas auf einem trockenen Bierdeckel ab.
„Besser?“ 33 zieht beide Augenbrauen hoch und starrt mich mit großen Augen an. „Nein.“ Sagt er dann nach einer sehr kurzen Bedenkzeit. „Anders!“ Legt er dann sogar nach.
„Anders?“ Frage ich.
„Anders!“ Nickt er.
„Alles wird anders.“ Sagt 42 und prostet mir zu.
Ist das so? Bei Pessimisten wird alles immer schlimmer. Bei Optimisten wird alles immer besser, schöner, größer. Aber wird es in Wirklichkeit doch einfach nur anders? Was es früher wirklich alles besser. So ohne Computer und Internet zum Beispiel. Oder so als die Mauer noch stand und West-Berlin eine Insel im roten Meer war. Ich schaue aus dem Fenster und sehe 19, der gierig an seiner Zigarette zieht und den Kopf zwischen den Schultern eingezogen hat, als wäre es kalt draußen, was es aber nicht ist.
Die COMSAT ANGELS erzählen gerade etwas vom verlorenen Kontinent der Liebe und da sehe ich 22 in der Ecke sitzen und verträumt in das Neonlicht der Budweiser-Reklame starren. Tja, 22. Ich überlege kurz ob ich nicht zu 22 hinüber gehen sollte, dann meint 33 plötzlich zu 42:
„Und wie geht es dir so? Alter?“