Der letzte Roman von William Gibson ist 2014 unter dem Titel THE PERIPHERAL erschienen. In Deutsch ist das Buch im letzten Jahr bei Tropen erschienen. Ich hatte mir das Buch gleich in der ersten Woche gekauft, bin aber jetzt erst dazu gekommen es zu lesen. Wie immer bei Gibsons Romanen ist der Zugang zu seinen Geschichten in den ersten Kapiteln auch hier wieder schwer. Man muss sich erst einmal wieder in sein ganz eigene Sprachwelt der Dinge und Beschreibungen zurecht finden. Außerdem wird man auch wieder mit den Namen der Charaktere konfrontiert, als kenne man jene schon lange und es bedarf daher keine weiteren Erklärungen. Aber wie gesagt, das macht er ja immer so. Das ist quasi sein Credo.
Hat sich Gibson als SciFi-Autor mit seinen letzen Büchern immer weiter der Gegenwart genähert (NEUROMACER – Trilogie = Ferne Zukunft, BRIDGE – Trilogie = Nähere Zukunft und die BIGEND – Trilogie = Nahe Zukunft) so bewegt sich Gibson mit THE PRIPHERAL wieder weiter in die Zukunft. ABer auch wieder gibt er hier keine konkreten Jahreszahlen an. Nach dem die BIGEND-Bücher eher SciFi-Wirtschaftskrimis waren, löst er sich von dem Thema hier zwar nicht ganz, aber eigentlich geht es hier in den Roman um Zeitreisen und eine Mordgeschichte.
Wobei in den wirklich lesenswerten Interview in DIE ZEIT berichtet er das als er mit den Buch angefangen hat, er noch gar keine Zeitreise Geschichte im Kopf hatte. Die Protagonisten Flynne und Wilf sollten einfach nur in verschiedenen „Welten“ leben. Sie auf dem Land und er in einer Großstadt. Das sind manchmal schon Leben wie in verschiedenen Zeitzonen. In seinen Danksagungen in Anhang des Buches schreibt er allerdings das die Idee zu der Geschichte mit dem Hintergrund einer Dritten-Welt-Gleichsetzung der Vergangheit gegenüber der Zukunft bzw. der Gegenwart er aus der Geschichte „Mozart In The Mirrorshades (Mozart mit Spiegelbrillen) von Bruce Sterling und Lewis Shiner von 1985 entliehen hat.
Der entscheidende Unterschied ist allerdings, das es in der Geschichte um physische Zeitreisen geht, wie bei H.G. Wells, und bei THE PERIPHERAL nicht.
Gibson nähert sich hier dem Thema Zeitreise auf eine andere Art.
Wissenschaftler nähern sich den Thema auf zweierlei Weise. Einmal durch das theoretische Erreichen der Lichtgeschwindigkeit, bewegt man sich automatisch in der Zeit. Für den „Reisenden“ würde die Zeit schneller vergehen bzw. in seinen Augen konstant bleiben, aber alles was sich nicht so schnell bewegt wie er, würde sich eben auch zeitlich langsamer bewegen. Das heißt dann also der „Reisende“ würde sich nicht nur schnell und räumlich bewegen, sondern auch durch die Zeit schneller reisen. Wobei er sich dabei nicht einmal wirklich räumlich bewegen müsste. Er würde also vorwärts durch die Zeitreisen. Rückwärts durch die Zeit reisen könnte man mit diesen Konstrukt nicht. Ein Thema das auch schon viele SciFi-Autoren aufgegriffen haben. Genauso wie die ähnliche Theorie der „Raumfaltung“. Hier geht es eigentlich wieder um räumliche Bewegung. Wie beim erreichen der Lichtgeschwindigkeit, das also einen theoretischen Antrieb voraussetzt, der einem Objekt diese Geschwindigkeit ermöglicht, und somit eben eigentlich erst Reisen zu fernen Sonnensystemen ermöglichen würde, geht es beim „Raumfalten“ eben auch darum, das man sich schneller von einem Ort im Universum an einen anderen begeben kann. Man nimmt durch das sogenannte falten es Raums eine Abkürzung. Was eben so funktioniert, als wenn man ein Blatt Papier vor sich flach zu liegen hat, der Weg von der rechten Seite des Blatts zur Linken ein weiter wäre, aber wenn man das Blatt zusammenfaltet und so den rechten Rand auf den Linken legt, der Weg zwischen den beiden Rändern nun plötzlich ganz kurz ist. Man hat den Weg verkürzt! Aber man hat dadurch auch wieder die Zeit verkürzt! Wenn man also so eine Raumfalte auch lokal erschaffen könnte, würde man dann nicht auch vorwärts durch die Zeit reisen?
Gibsons Ansatz zu Zeitreisen ist in diesem Roman ist der, das man nicht physisch durch die Zeit reist, sondern mit der Vergangenheit kommuniziert. Signale durch die Zeit schickt. Der interessante Aspekt ist, wenn man mit der Vergangenheit über einen mysteriösen Server, der irgendwo in China stehen soll, einen „Kanal“ zu einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit aufmacht, dann setzt man damit automatisch eine Konvergenz in Gang. Das heißt, nach dem Kontakt entfernt sich die Vergangenheit zur der Gegenwart, so das die Gegenwart nicht mehr die Zukunft der Vergangenheit ist zu den man den „Kanal“ geöffnet hat. Die Kommunikation läuft dann auch in Echtzeit und bleibt konstant. Wenn also in der alternativen Vergangenheit eine Stunde vergeht, vergeht auch in der Zukunft bzw. der Gegenwart eine Stunde.
Gibson lässt die Vergangenheit in dem Buch in einer nahen Zukunft spielen. Vielleicht die 30ziger oder 40ziger Jahre. Die Zukunft bzw. Gegenwart ist der Vergangenheit 70 Jahre voraus. Die quasi zukünftige Vergangheit beschreibt er recht düster. Es ist eben die Fortsetzung unserer Gegenwart. Umweltverschmutzung, Ressourcenknappheit und sinnlose Kriege. Eine USA die sich hauptsächlich mit Drogenherstellung, Computerspiele und Militärinterventionen finanziert und droht von einer Oligarchie zukünftig regiert zu werden. Hier hat die Wirklichkeit bzw. Gegenwart die zukünftige Vergangenheit mit einen Präsidenten Trump leider schon eingeholt…
Aber auch in der Zukunft, eben 70 Jahre weiter, ist auch nicht alles knusper. Denn dort wird der Mord begangen, den ich eingangs erwähnt hatte, den es aufzuklären gilt.
Der deutsche Titel PERIPHERIE ist nicht völlig falsch, aber doch ein wenig irreführend. Eigentlich müsste es „Das Peripheral“ heißen. Denn um die geht es im Roman auch. Peripherale sind in der Zukunft Ersatzkörper, die in jeder körperlichen Hinsicht menschlich sind, aber keinen eigenen Geist oder eine Seele oder Bewusstsein besitzen. Entweder werden sie von Menschen gesteuert und von einer AI, die menschliche Regungen simuliert bzw. imitiert. Wobei steuern in den Fall hießt, das man quasi in den künstlichen Körper hineinschlüpft und ihn wie den eigenen benutzen kann. Das kann man aus großer Entfernung machen oder eben auch aus einer anderen Zeit heraus. So schaffen es dann die Protagonisten aus der Vergangenheit die Zukunft bzw. Gegenwart zu besuchen, in dem sie aus der Vergangenheit aus diese Peripherale benutzen.
Das erinnert natürlich an Filme wie SURROGATES oder GHOST IN THE SHELL. Weniger an die Replikanten in BLADE RUNNER.
Das führt alles wie immer bei Gibson zu einer sehr spannenden Geschichte. Und es sieht auch mal wieder nach einer Trilogie aus. Zu mindestens hat Gibson in Interviews letztes Jahr und auch dies Jahr davon gesprochen das er an einem neuen Buch schreibt, das in dem selben Universum spielt. Wie immer wird es wohl keine direkte Fortsetzung sein, sondern eben Ereignisse und vielleicht auch einzelne Personen aus den vorhergehenden Buch aufgreifen.
Gibson wird immer als der Autor dargestellt, der die Zukunft voraussehen kann, aber so sieht er sich gar nicht selbst. Er ist eben ein aufmerksamer Beobachter und zieht sein Rückschlüsse aus technischen Entwicklungen. Das hat nichts mit Hellseherei zu tun. Ja, als er NEUROMANCER geschrieben hat, hat er nicht das Internet vorausgesagt, denn das gab es in Form des Arpanet an Unis ja schon. Er hat eben nur das Wort Cyberspace kreiert und mit seinen Beschreibungen die frühen Vorstellungen des Internets inspiriert. Ja, dort kommt auch ein selbstfahrendes Auto vor. Aber auch das war keine Hellseherei. Das Konzept gab es auch schon in den 1980er Jahren und wurde auch schon von anderen Autoren benutzt (z.B. „Homeworld“ Harry Harrison, 1980). Aber z.B. Smartphones kommen in seinen Romanen auch erst seit 2010 vor. Social Media kennen seine Romane vor 2003 auch nicht. Aber trotz alle dem, die Sachen bzw. Entwicklungen die er in seine Geschichten einbaut, die kommen dann der Realität ein paar Jahre später doch sehr, sehr nahe!